Brigittes Geschichten
Zuckertüten
Der erste Schultag. Wir malten auf die Zeilen im Deutschheft Zuckertüten. Welche, die mit der Spitze nach unten zeigten, andere auf dem Kopf stehend. Meine Tüten sahen sehr verkrakelt aus. Als Mutti das sah, schimpfte sie mich aus und ich übte den ganzen Nachmittag Zuckertüten malen. Als abends Vati von der Arbeit kam, gab es wieder ein Donnerwetter. Bis weit in die Nacht musste ich unter Tränen diese blöden Zuckertüten malen. Und ich war sooo müde. Aber inzwischen sahen meine Zuckertüten sehr schön aus.
Am nächsten Tag zeigte ich voller Stolz meine Hausaufgaben vor und hoffte auf ein Lob. Die Lehrerin sagte aber nur: „Das hast du nicht selbst gemalt.“ Ich sagte: „Doch, ich hab das ganz alleine gemacht.“ Weil ich angeblich gelogen hätte, gab es einen roten Eintrag und ich musste nach dem Unterricht eine Stunde nachsitzen ... und Zuckertüten malen.
Mit einer Stunde Verspätung traf ich zu Hause ein. Mutti hatte mit dem Mittagessen gewartet, sich Sorgen gemacht und war inzwischen sehr böse, weil ich „herumgetrödelt“ hatte. Wieder saß ich den ganzen Nachmittag an der Zuckertütenmalerei. Am Abend bekam ich den nächsten Ärger mit Vati, weil ich einen Eintrag wegen Schwindelei hatte und nach dem Unterricht später nach Hause kam. Als Strafe bekam ich dafür eine Woche Stubenarrest ... und musste Zuckertüten malen. Diese Dinger hab ich inzwischen gehasst.
Mein Spaß an der Schule war mir damit ein für allemal vergangen ... und das sollte zehn Schuljahre lang so bleiben.
Maulschellen
Neulich war ich in Dresden-Plauen in einer stadtbekannten Konditorei, die eine lange Familientradition hat und entdeckte zu meiner großen Freude … Maulschellen. Erinnerungen an meine Kindheit wurden wach …
Samstags bekam ich von meinen Eltern Geld, um beim Bäcker die Frühstücksbrötchen zu kaufen … und eine Maulschelle für mich.
Maulschellen sind leckere Hefeteigteilchen mit roter Marmelade und einfachem Puderzuckerguss. Mit einem Teil der Marmelade ist der Hefeteig marmoriert, der Rest der Marmelade sitzt außen drauf. Die Maulschelle ist handtellergroß, flach und ausgefranst. Eben, wie eine gebackene Maulschelle …
Leider sieht die Maulschelle heutzutage wie ein ganz normales Stück Kuchen aus, von Marmelade ist nicht viel zu sehen, dafür sind Rosinen drin. Der Geschmack ist aber noch der gleiche, wie früher. Einfach himmlisch.
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Wir dachten uns bei unseren Gute-Nacht-Geschichten aus, wie es zum Namen „Maulschelle“ kam.
Alle kennen das Märchen „Dornröschen“. Tja, die Gebrüder Grimm haben sich da etwas geirrt. In der Schlossküche war es nicht der Koch Heinrich, der seinen Gesellen beim Naschen ertappte … nein … es war der Königliche Ober-Haus-und-Hof-Bäckermeister Jeremias, der höchstpersönlich den Kuchenteig zur Geburtstagsfeier der Prinzessin bearbeitete. Wie er so knetete, sah er plötzlich, wie der Bäckerbursche Werner vom Teig naschte. Jeremias war empört, sollte doch der Kuchen rechtzeitig aus dem Ofen kommen. Alle Hände wurden dringend gebraucht
… und Werner, dieser Faulpelz, naschte heimlich …
Der Königliche Ober-Haus-und-Hof-Bäckermeister Jeremias fuhr in seinem Zorn mit den Händen aus dem Teig, holte aus und wollte dem Bäckerburschen eine Maulschelle (Ohrfeige, Watschen, Backpfeife) versetzen … wollte … denn eben in diesem Moment begann der hundertjährige Fluch zu wirken, den die Feen ausgesprochen hatten und alle schliefen dort ein, wo sie standen.
Als nach hundert verschlafenen Jahren der ewig knutschende Prinz erschien, den Bann brach und somit alle erweckte, traf die Maulschelle nun doch noch ihr Ziel. Der Bäckerbursche Werner war aber recht schlau, zog den Teig vorsichtig von seiner Wange ab, buk und verzierte ihn mit Puderzuckerguss. Bei der Hochzeitsfeier der Prinzessin mit dem Prinzen standen Maulschellen in der Mitte der Festtafel.
Das Rezept aber für die Maulschellen hielt Werner stets in Ehren und vererbte es von Generation zu Generation weiter.
Maulschellen
Weihnachtsbaumkugeln ... oder Geschichten, die das Leben schreibt ...
1975 ... ich war frisch verheiratet und wir hatten unsere erste eigene Wohnung erhalten.
Mutti hatte mir immer jeden Wunsch erfüllt, deshalb hatte ich von der damaligen wirtschaftlichen Situation in der DDR keine Ahnung und wusste nicht, dass Weihnachtsbaumkugeln ein rarer Artikel waren.
Vor Jahren hatte ich mal welche in einer Drogerie liegen sehen. Kurz vor Weihnachten spazierte ich also in die nächstgelegene Drogerie und verlangte silberne Weihnachtsbaumkugeln. Die Verkäuferin bekam große runde Augen, schnappte zweimal tief nach Luft und schnauzte: "Na wo leeeeeben Siiiie denn? Das ist ja eine Uuuuunverschämtheit, hier nach Weihnachtsbaumkugeln zu fragen."
Wie ein begossener Pudel trottete ich davon und verstand die Welt nicht mehr.
Ein paar Tage später - es war der 4. Advent und damit verkaufsoffener Sonntag. Mutti hatte gesagt, dass es an diesem Tage immer besondere Dinge zu kaufen gibt.
Ich marschierte ins Centrum-Warenhaus, denn ich wollte ja noch Spielzeug für meinen kleinen Sohn (damals 9 Monate alt) kaufen. Oben in der Spielzeugabteilung angekommen, quoll mir schon auf der Treppe eine Menschentraube entgegen. Brav stellte ich mich in der Reihe an. Ich wurde vom Menschenstrom vorwärts getrieben, ein Abschwenken nach links oder rechts zu den Spielzeugregalen war unmöglich.
Irgendwann, so nach einer halben Stunde, drückte mir jemand einen zugeklebten Karton in die Hand. Nach einer weiteren halben Stunde war ich an der Kasse, bezahlte 10 Mark und machte mich auf den Heimweg, ohne zu wissen, was ich da eigentlich gekauft hatte ... und ohne Spielzeug ...
Zu Hause angekommen, öffnete ich neugierig den Karton. Da lagen 12 silberne Kugeln. Mein silberner Weihnachtsbaum-Traum war gerettet.
Die Kugeln halte ich in allen Ehren. Auch in diesem Jahr werden sie wieder meinen Weihnachtsbaum schmücken.